Leiden an Ambidextrie

Schulze hatte den gesamten Vormittag lustlos in einem blutarmen Workshop gehockt und gehofft, dass ihn vielleicht ein Probe-Feueralarm von seinem stillen Leiden erlösen würde. Aber selbst die Werkfeuerwehr schien mittlerweile agil zu sein und auf die schnöde Überprüfung von Prozess-Wirksamkeit verzichten zu wollen.

„IDEATION-Workshop” hatte in knalligen Lettern am Brownpaper gestanden und der agile Moderator mit hippen Sneakern hatte die Workshop-Teams mit den aktuellsten und neurowissenschaftlich erprobten Kreativmethoden durch den Vormittag gehetzt. Schulze war ermattet. Ihm war schummrig geworden in der Sommerhitze und auch die Klimaanlagen schienen bereits in den Sommerurlaub entrückt.

Was um alles in der Welt sollte hier genau erarbeitet werden? Ambidextrie war das neue Modewort, das selbst Manager mit lediglich kleinem oder gar ohne Latinum pausenlos strapazierten. Da war die Rede von Exploitation, was Schulze viel eher an Karl Marx und Friedrich Engels und deren sozialistische Theorien erinnerte, als an die Ausschöpfung bestehenden Wissens im Unternehmen. Gemeint war wohl, das Bestandsgeschäft maximal effizient zu betreiben und zu stabilisieren. Gleichzeitig aber wurde Exploration, die Erkundung neuer Wissensgebiete und die Eroberung unbekannten Terrains propagiert. Hier erwartete man wohl Ideenreichtum, Kreativität, Experimentierfreude und Risikobereitschaft, um so zu bahnbrechenden Innovationen zu gelangen und die Zukunft des Unternehmens zu sichern. „Schöne Vorstellung”, dachte Schulze und betrachtete nachdenklich beide Hände. Er wusste nur zu gut, dass jeder Mensch so seine Schokoladenseite hatte, ob beim Werkeln mit den Händen oder auf dem Fussballfeld, wo Spieler den Freistoß nun mal mit dem stärkeren Fuß ausführten. Von zeitgemäßen Führungskräften erwartete man nun ganz offenbar diese ambidextren Eigenschaften, zur Not auch durch gewaltsam verabreichte Weiterbildungsprothesen. Auf der anderen Seite wunderte sich Schulze, mit welchen Trivialitäten und Selbstverständlichkeiten die Jünger des hippen Zeitgeistes zu punkten suchten. Da wurde von transformationaler Führungskompetenz geschwafelt, wenn lediglich gemeint war, den Mitarbeitern als Führungskraft möglichst sinnstiftende, herausfordernde Aufgaben anzuvertrauen. Die Führungskraft müsse nun verstärkt moderierend, coachend und inspirierend agieren. Ach wirklich? Schulze dachte amüsiert daran, dass solch „revolutionäre” Erkenntnisse des speedboat-affinen Mainstreams in Japan bereits in den frühen 80er Jahren im kollektiven Unternehmensgedächtnis verankert waren, nämlich nachdem der amerikanische Qualitätsvordenker W.E.Deming seine 14 Managementprinzipien dort gelehrt hatte und der japanischen Nachkriegsindustrie wesentlich zu neuem Glanz verhalf, während der Westen nur ungläubig staunte.

Aber egal, das Management der Tunicht&Gut GmbH war nun auch endlich in der digitalen VUKA-Welt angekommen, zumindest was die Fassadenmetrik anbelangte, und niemand wollte die Welle des disruptiven Hypes verpassen, auf der sich zumindest vorübergehend so trefflich surfen ließ...

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